Die empirische Herangehensweise im Zivilrecht: Lebensnähe und Methodenehrlichkeit für die juristische Analytik?

Main Authors: Hamann, Hanjo, Hoeft, Leonard
Format: Article Journal
Bahasa: deu
Terbitan: , 2017
Online Access: https://zenodo.org/record/5877945
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  • Praktische Beispiele für das Potential und die Grenzen statistischer (d.h. quantitativ-empirischer) Erhebungen in zivilrechtlichen Archivzeitschriften sind bislang rar. Nun gibt ein neuer Vorschlag willkommenen Anlass zu weiterführenden Überlegungen: Alexander Stöhr plädiert am Beispiel der Transparenzkontrolle im Arbeitsrecht „für eine empirische Herangehensweise“. Dazu verwendet er zwei Klauseln aus Arbeitsverträgen, die das Bundesarbeitsgericht 2007 bzw. 2011 am Maßstab des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zu beurteilen hatte, und befragt knapp dreißigtausend Angehörige seiner Universität per E-Mail, wie sie die streitentscheidende Frage des Falls jeweils entschieden hätten. Aus den fast eintausend Antworten, die mehrheitlich von der des BAG abwichen, folgert Stöhr, dass der vom Bundesarbeitsgericht entwickelte „Transparenzmaßstab an der Realität vorbeigeht“ (560), und schlägt deshalb vor, „die Paradigmen der Transparenzkontrolle grundlegend zu überdenken“ (571). Erörterungen zu verschiedenen empirischen Instrumenten runden die Darstellung ab und geben wertvolle Impulse für weiterführende Überlegungen zur Zukunft einer empirischen Rechtsforschung. Diese Impulse kommen genau zur rechten Zeit, denn jüngst wurde auch in den USA eine „dringende“ und „radikale“ methodische Erneuerung der „Vertragsauslegung durch Umfragen und Experimente“ vorgeschlagen, die insbesondere zur Beurteilung überraschender Klauseln in Verbraucherverträgen geeignet und zulässig sein, aber auch im größeren Maßstab die richterliche Auslegung durch empirische Erhebungen anreichern oder gar ersetzen sollen – in der Stoßrichtung völlig identisch mit Stöhr, in Mitteln und Methodik jedoch grundlegend anders.